Aus der Empörung hierüber resultierte im März 1997 ein Antrag traditionsbewusster Bürger unter der Federführung des Historikers Prof. Dr. Stievermann, die Gestaltungssatzung im Sinne einer traditionellen zweigeschossigen Bauweise für den Bereich der Altstadt zu ändern. Diesem Antrag wurde allerdings keine Bedeutung beigemessen. Bis auf den heutigen Tag ist der Bau dreigeschossiger Gebäude bis 10 m Traufhöhe zulässig. Seit  sieben Jahren liegt dieser Bürgerantrag bei Rat und Verwaltung vor. Ein entscheidender Wille, endlich darüber zu beraten, fehlt leider bis heute.

 

 

Rückblickend auf das Jahr 1994 muss hier noch die Meldung des Autors an das Westfälische Amt für Bodendenkmalpflege Münster und die Außenstelle Außenstelle Olpe, erwähnt werden, dass das Areal der ehemaligen Drostenburg „auf’m Platz“ neu überbaut werden solle. Daraufhin wurden dort in mehreren Etappen zwischen März 1995 und April 1998 Grabungen  durchgeführt. Zwischenzeitlich erfolgte im Sommer 1996 der Abriss eines exakt auf dem Stumpf des Wohnturms errichteten Ackerbürgerhauses aus der Zeit um 1740. Der Investor hier ist der selbe wie bei dem „Wohnturm“ in der Zweiten Straße Nr.11. Als Quittung für seine Unterschutzstellungsinitiative für die Häuser am Zollhaus und die Einschaltung der Archäologen musste der Autor seit März 1995 einige massive Drohungen seitens des Investors hinnehmen.

 

 

             

Die freigelegten Turmfundamente des Drostenturms samt Stadtmauerrest (Grabungszustand 1998).

 Im Juli 1998 starteten die örtlichen Mitglieder der „Freunde der märkischen Bautradition in der IGB“ eine Protestaktion gegen die zunehmende Zerstörung der Altstadt unter dem Motto „Haus für Haus stirbt unser Zuhause“. Im September/Oktober 1998 fand auf dem Gelände „auf’m Platz“ erneut ein „Festival der Bagger“ statt. Ein Hausbesitzer, dem nach Brandschaden ein Teilabriss bis auf drei Außenwände genehmigt worden war, ließ die gesamte Brandstätte mit Gebäuderesten von etwa 1730 bis 1740 wegräumen. Gleichzeitig ließ genannter Investor die archäologisch ergrabenen Burgfundamente komplett beseitigen, um dort etwas zu erbauen, was man angesichts der überzogenen Größe nur noch als „Wohn- und Geschäftskaserne“ bezeichnen kann. Schnell ließ sich erkennen, dass die Proportionen dem Stadtbild erneut schweren Schaden zufügten. Beim Besuch unserer Stadt vom Kohlberg kommend, bleibt der ehemals schöne Blick auf die Altstadt verstellt. Ebenso bietet ein Blick aus der Nord-West  Ecke der Altstadt einen traumatischen Blick vor eine Hochhauskulisse von wo ehemals Berge und Wälder zu sehen waren - ein schmerzlicher Verlust.

 

Im Laufe des Jahres 1995 kaufte ein anderer Investor die ehemalige, mit der Stadtgründung errichtete Stadtmühle zwecks Abrisses und Neubaus. Seine begrüßenswerte Absicht, Teile des Kellers und  den Mühlenstuhl zu erhalten, scheiterten am Einspruch des Kreisbauamtes. Geblieben sind so nur einige Mühlsteine in der Pflasterung des Einganges.

 

Die beiden 1993 unter Schutz gestellten Häuser, Am Zollhaus 4 und 6, wurden dann im Dezember 1998 von just dem Investor erstanden, der zuvor das oben erwähnte „Steinhaus“ hatte abbrechen lassen. Schnell stellte sich heraus, dass der Kauf aus rein spekulativen Gründen erfolgte, denn er bekundete auch hier sofort die Absicht, die Gebäude trotz Denkmalschutzes wegen Unzumutbarkeit abbrechen zu lassen. Daraufhin richteten im Sommer 2000 die Grünen im Rat der Stadt und weitere Bürger Protestschreiben an das Ministerium in Düsseldorf, in denen klargestellt wurde, dass der Investor restaurierungswillige Bürger überboten hatte und es auch noch andere Interessenten für die Gebäude gäbe. Da auch das Amt für Denkmalschutz in Münster dem mittlerweile auch von der Stadt Neuenrade unterstützten Ansinnen, die Gebäude abzureißen, nicht zustimmen mochte, rief es gemäß gesetzlichem Verfahren den Minister Michael Vesper um letztinstanzliche Entscheidung an. Im April 2001 lieferte der Autor dieser Zeilen dem Ministerium weitere Informationen nach. Im gleichen Monat aber fällte der Minister die skandalöse Entscheidung, die Häuser wegen Unzumutbarkeit für den Hausbesitzer zum Abbruch freizugeben. Diese Entscheidung muss hart kritisiert werden: Mit ihr hatte der Minister eine Willkürentscheidung gefällt, die nach der Lage der Dinge nicht zu rechtfertigen war. Der Investor hatte sich durch den Kauf der Objekte selbst in die angeblich unzumutbare Situation gebracht. Als Käufer eines unter Schutz stehenden Denkmals musste er sich seiner Verantwortung gegenüber öffentlichen Belangen im Klaren sein. Der Fall hätte also dadurch problemlos geheilt werden können wenn der Investor die Häuser an Erhaltungswillige weiterveräußert hätte; auf diesen Weg hätte der Minister angesichts der klaren Fakten bestehen müssen, zumal dort Interessenten mit dem ernsthaften Willen, die Häuser zu erwerben und denkmalgerecht zu restaurieren, vorstellig geworden waren. Die Altstadt hätte diese Häuser zudem dringend benötigt als Ersatz für die eh schon viel zu großen Verluste gerade an der Ostseite der Altstadt.

 

Der jetzt dort entstandene Neubau reiht sich, obwohl architektonisch sicherlich eine Meisterleistung, weil aber hier unpassend, abermals nahtlos in die Kette der  Fremdkörper für das historische Ambiente einer Altstadt.

 

Fazit:

 

Jeder heimatlich verbundene Bürger sollte aufpassen, dass noch vorhandene Hauslandschaften nicht durch Allerweltsbauten verdrängt werden und nicht gewinnsüchtige Investoren bestimmen, was erhaltenswert ist. Es ist letztendlich eine Frage gesunden Geschichtsbewusstseins, dass historische Bausubstanz als kultureller Wert erkannt und erhalten wird. Es sollte alles getan werden, um Heimatgefühl und Geschichtskenntnisse  sichtbar zu erhalten. Insofern sei auch der Stadtverwaltung für die Abarbeitung der Kulturguterfassungsliste gedankt, obwohl es nun für einige wichtige Objekte bereits zu spät ist.

 

Investoren sind in Neuenrade nicht überall segensreich zu Werke gegangen. Abschreckende Beispiele sind das Ärztehaus, der Gaststättenkomplex „Zur Altstadt“ und „Marktschänke“, die „Wohntürme“ zweite Straße Nr.11 und am Drostenturm und die Neubauten an Zollhaus 4 und 6.

 

 

Blick durch die Zweite Straße im Mai 2004.

Rechts der Wohnturm Nr. 11, vor Kopf der unpassende Ersatz für zwei Baudenkmale am Zollhaus.

 

Die Bürger müssen lernen, dass sich echtes Traditionsbewusstsein nicht im regelmäßigen Abfeiern von Schützenfesten und Gertrudenmärkten erschöpfen darf. Wenn es nicht gelingt, die Gestaltungssatzung für die Neuenrader Innenstadt zu ändern, die Investoren künftig von Komplettabrissen abzuhalten und die Integration von alten Bauteilen in Neubauten zu erreichen, wird es bald kaum noch eine sehenswerte Altstadt in Neuenrade geben. Es erscheint nahezu aussichtslos, die örtlichen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass gerade unsere baugeschichtlichen Wurzeln im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar erhalten werden müssen und dass gerade eine gepflegte und sehenswerte Altstadt im Touristenziel Sauerland die Vermarktungschancen eines Ortes deutlich verbessert.

 

Leider gibt es aber auch die bittere Erkenntnis, dass selbst unsere durch das Gesetz geschützten Baudenkmale vor dem spekulativen Zugriff durch Investoren und der letztlichen Totalzerstörung nicht sicher sind.

 

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